Kritik |
Der Tagesspiegel am Samstag, den 6. Mai 1995 |
Strawinskys "Geschichte vom Soldaten" ist ein Kriegsprodukt. 1917/18 aus finanzieller Not geboren, für ein kleines Ensemble von sieben Musikern geschrieben, sollte es auf Tournee gehen und ein Hit werden. Es wurde keiner. Zu heikel war die Parabel vom Kriegsheimkehrer, der sich in der Normalität nicht mehr zurecht findet und ein Opfer des Bösen wird. Am 8.Mai 1945 ging wieder ein Weltkrieg zu Ende. Charles-Ferdinand Ramuz, Strawinskys westschweizer Freund und Librettist, hatte so etwas nach dem Greueln des Gaskriegs von 1914/18 nicht für möglich gehalten. "Die Geschichte vom Soldaten" - ein GEdenkstück.
An den Krieg erinnern nur Springerstiefel und NVA-Jacke des Soldaten. Daniel Fischer führt zum ersten Mal Regie, mit Kommilitonen und Solisten der Sinfonietta 44, als Gast im Theater Zerbrochene Fenster in Kreuzberg. Ein ehrgeiziges Projekt. Fischer arbeitet mit statischen Bildern und symbolisch verknappter Körpersprache, mit einem ausgeklügelten Beleuchtungskonzept (Michael Remm) und Blackouts, mit Figuren in Schwarz und Weiß. Wilson-Theater. Das ist eine faszinierende, aber gefährliche Ästhetik. Die Handlung wird durch die Schnitttecknik bedeutsam gehemmt, gedehnt und steht schließlich quer zum frischen Rhythmus, den Strawinskys Partitur vorgibt. Die Verbindung zwischen schönen Bildern und Musik will bald nicht mehr gelingen.
Olaf Radicke hat einen nüchtern grauweißen Raum gebaut. In der Mitte eine Türöffnung, darin jungwilde Malereien innerliche Befindlichkeiten ausdrückend (alle voran natürlich das Aufbegehren: der Schrei). Überhaupt diese Verdopplungen. Dem Soldaten (Markus Heinicke) und dem Teufel (Produzent: Daniel Fischer) sind Doppelgängerfiguren beigegeben, die anzeigen was Sache ist. Wenn der Teufel, eine pomadige Verkörperung des Luxus in pelzbesetztem Gehrock, dem Soldaten mit ausgesuchter Höflichkeit seine Geige gegen unerhörten Reichtum abkauft, dann kehren die Doubles (Faycal Milhoubi und Eva-Maria Meyer-Keller) jenen Akt nach außen: die Vergewaltigung der Seele durch den Konsum.
Als Leitmotiv zieht sich ein Eimer voll Sand durch die Inszenierung: Aus Erde bist Du geworden, zu Erde sollst Du vergehen. Zwischen den beiden Teilen des Werkes hibt es eine artifiziell beleuchtete Theauterpausensituation. Die sexuelle Hörigkeit zwischen Soldat und Prinzessin, die übrigens eine Abspaltung des Teufels ist - eine Joseph-Potiphar-Konstellation. Schließlich der Triumph Satans, ein Triumph der Gier nach Sex,Crime und Geld, sicherlich beeinflußt von Anita Berber, der Berliner Nackttänzerin der zwanziger Jahre, und Rosa von Praunheims Film über sie. Starke Bilder. Hätte der Elan der Bilderfindungen auch den Rhythmus der Inszenierung belebt, wäre eine spannende Sache daraus geworden.
Die sieben Soloinstrument verschmelzen nicht zu einem homogenen Klang. André de Ridder dirigiert einen kammermusikalischen Strawinsky der Einzelstimmen, skurril in ihrer Färbung und spielerisch im Klangbild. Dafne-Maria Fiedler gibt mit weitaufgerissenen Augen im giftgrünen Königin-Luise-Kostüm auf deutsch und französisch die Erzählerin.
Boris Kehrmann
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