Felix Mendelssohn-Bartholdy

1809 - 4.11.1847

Im November 1936 wollte Sir Thomas Beecham mit Musikern des London Philharmonic Orchester am Mendelssohn-Denkmal vor dem Leipziger Gewandhaus einen Kranz niederlegen. Doch die NS-Behörden hatten in einer Nacht- und Nebel-Aktion das Denkmal zerschlagen: Der "Vollblutjude" sollte nicht posthum noch "öffentliches Ärgernis" erregen. Mehr als 10 Jahre durfte nichts von ihm gespielt werden. Die Musikfachleute in Diensten der braunen Machthaber konnten sich auf Richard Wagner berufen, der erklärt hatte: Mendelssohn "hat uns gezeigt, daß ein Jude von reichster spezifischer Talentfülle sein, die feinste und mannigfaltigste Bildung, das gesteigertste, zartempfindende Ehrgefühl besitzen kann, ohne durch die Hilfe aller dieser Vorzüge es je ermöglichen zu können, auch nur ein einziges Mal die tiefe, Herz Lind Seele ergreifende Wirkung hervorzubringen, welche wir von der Kunst erwarten (... )"

Natürlich sah Wagner die Qualität der Mendelssohnschen Musik, gelegentlich hat er sogar Bewunderung geäußert (und einiges übernommen); bei ihm waren besondere biographische und ideologische Konstellationen im Spiel. Fatal ist jedoch, daß sein Urteil diffus weitergewirkt hat, daß auch ohne Antisemitismus sich das Diktum von der glatten Oberflächlichkeit Mendelssohnscher Musik gehalten hat, daß von musikwissenschaftlicher Seite die Rede war von Epigonentum und (abwertend gemeintem) Klassizismus. Davon ist die Mendelssohn-Rezeption bis heute geprägt, bis hinein in den Gegenzug einer wohlmeinenden Wiedergutmachung". Immerhin ist die Diskussion in Gang gekommen.

Über "Das Problem Mendelssohn" (so der Titel eines Symposions 1972) läßt sich nicht reden ohne Kenntnis der historischen Topographie: Zeit der Restauration, des politisch gegängelten Bürgertums, des Biedermeier-Geistes, der sich ins Private zurückzog; das nachbeethovensche Zeitalter. Für Mendelssohn kommt hinzu: Geboren als Sohn einer wohlhabenden jüdischen Bankiersfamilie, als Enkel des Philosophen Moses Mendelssohn, dem Lessing mit dem Nathan ein Denkmal gesetzt hatte, war seine Lebensbahn vorgezeichnet durch die Assimilationsbemühungen, worin zumal das gebildete Judentum die einzige Chance sah, langfristig gleichberechtigt und gleichwertig am politischen und kulturellen Leben seiner Umgebung teilnehmen zu können. Deswegen entschlossen sich die Eltern 1816 zum "Entréebillett zur europäischen Kultur" (Heine), zur Taufe: Die Mendelssohn-Kinder sollten eine Bildung aus der Fülle der christlichen-abendländischen Kultur erhalten, und zumal Fanny und Felix erwiesen sich als hochbegabt, nicht nur in der Musik. Felix empfing das Erbe dieser Kultur sozusagen aus der Hand und dem Geist Goethes, der dem Kind väterlich zugetan war, dazu paßte die musikalisch-konservative Unterweisung bei Karl Friedrich Zelter.

Das Oktett op. 20 und die Ouvertüre zum "Sommernachtstraum" zählen dann schon zu den vollgültigen Werken. Deren Charakeristika waren früh ausgeprägt, wurden aber laufend weiterentwickelt: Die Grenzen der überlieferten Gattungen (anders als bei Liszt und Berlioz) bleiben erhalten, gerade weil Mendelssohn die Formen aus ihrer Geschichtlichkeit versteht; und gerade deswegen deutet er sie für sich neu und kommt zu neuen Lösungen, wie die Symphonien zeigen. Man wird also Mendelssohns Musik nicht gerecht, wenn man sie an der Elle Beethoven mißt - nicht, weil sie an ihr keinen Bestand hätte, sondern weil das Meßinstrument hier versagen muß. "Als Komponist in der geschichtlichen Situation nach Beethoven zu bestehen, bedeutete für Mendelssohn, Oberhaupt nicht in den Schatten zu treten, den Beethoven warf"(Dahlhaus).

Mendelssohns Zugang ist anders: Er macht seine liedhaften Themen kaum zum Gegenstand motivisch-thematischer Arbeit im klassischen Sinn, das wäre ihnen nicht angemessen, hätte etwas Gewaltsames: Sie sind nicht dafür gemacht. Sein Weg geht umgekehrt in Richtung Integration, Zusammenfassung, Kombination zunächst einander fremder, oft auch verwandter Gebilde; Abtrennung nur, um neue Einheiten entstehen Zu lassen; Darstellung des schon Bekannten in neuem Licht. Mittel dazu sind Wechsel in Harmonisierung, Instrumentation, Dynamik oder Artikulation. In diesem integrativen Satzkonzept wird beinahe alles mit allem vermittelbar, Begleitsätze , Figurationen oder scheinbar nur überbrückende Teile erscheinen in neuen Positionen "aufgewertet", nichts ist nebensächlich. "Durchführung" beginnt oft schon in der "Exposition" die "eigentliche" Durchführung bringt häufig neue Gedanken. Großes Gewicht erhalten dabei kontrapunktische Verfahrensweisen.

Mendelssohns äußere Karriere verlief glänzend: Seine Wiederaufführung von Bachs 100 Jahre lang vergessener Mattbäuspassion 1829 war nicht nur eine historische Tat, sondern auch der Beginn einer europäischen Dirigentenkarriere. Als Bewerber um die Nachfolge Zelters als Leiter der Berliner Singakademie wurde Mendelssohn mit einer unverhohlen antisemitischen Begründung abgewiesen. Er ging daraufhin zuerst nach Düsseldorf, dann für 10 Jahre an das Leipziger Gewandhaus als Kapellmeister. Unter seiner Leitung wurde das 1843 dort gegründete Konservatorium zu einer hochrenommierten Ausbildungsstätte. Er starb am 4. November 1847, wenige Monate nach seiner Schwester Fanny, 38jährig an einem Gehirnschlag.


(c) Sinfonietta 92 e.V. / Änderungen und Tippfehler vorbehalten.
Änderungen und Hinweise bitte an Adrian Voßkühler
Anfang dieser Seite / Einstiegsseite

Sinfonietta 92 e.V. / Grafik(3k)

Ihr Browser kann unsere Seite leider nicht vollständig interpretieren.
Bitte haben sie Verständnis dafür, dass wir nur noch eine Version mit Javascript anbieten.

Um unsere Seiten fehlerfrei ansehen zu können, aktivieren Sie bitte entweder JavaScript
oder laden sich einen neueren Browser herunter (z.Bsp. bei Netscape oder Microsoft).


Andernfalls bieten wir Ihnen selbstverständlich unsere persönlichen Kontakt an

Wir freuen uns über Ihren Anruf.

Sinfonietta 92 e.V.
c/o Anette Bauer
Mainauer Straße 11
D - 12161 Berlin

Tel. 030 / 8526116
Mail: vorstand@sinfonietta92.de